Was Pferdehalter aus der Corona-Krise lernen können
von Uwe Weinzierl
Die Bedeutung des Lebens in einem Herdenverband
Nie sollte es für Pferdebesitzer leichter zu verstehen gewesen sein, was das Leben in einem Herdenverband für Pferde bedeutet, als in den Zeiten Coronas. Die Erfahrung, die man am eigenen Leib macht, ist durch nichts zu ersetzen. Man kann kleinen Kindern von den überall lauernden Gefahren des Lebens erzählen, man kann ihnen Restriktionen androhen, doch nichts ist eindrücklicher als die eigens erlebten Schmerzen eines aufgeschürften Knies, des eingeklemmten Fingers oder des Hausarrests mit Handyverbot. Erst, wenn man selbst leidet, erst, wenn man selbst verzichten muss, kann man erfahren, wie es sich anfühlt und dem eine Bedeutung zuweisen, die das eigene Handeln in der Zukunft beeinflusst.
Wenn sich nun das Leben wieder normalisiert, die Pferdemenschen wieder ungehindert und selbstbestimmt den Kontakt zu ihren Pferden aufnehmen und leben dürfen, bin ich voller Hoffnung, dass in ihnen der Anblick eines Pferdes in einer 3 x 4 m großen, womöglich vergitterten Box eine Assoziation wachruft, eine Erinnerung an ihr eigenes Eingesperrt-Sein, an ihre Einsamkeit, an das Nicht-in-Kontakt-treten-Dürfen, an ihre Verlorenheit in dieser Situation und an die Sehnsucht nach dem Miteinander, nach Bewegung und frischer Luft, nach dem gemeinsamen Spiel.
(c) Jördis Brunke
Wenn die vielen Monate der Beschränkungen, wenn diese für uns neue Erfahrung der Unfreiheit einen Wandel im Bewusstsein der Pferdemenschen herbeigeführt haben sollten, wenn die Stalltüren der Einzelhaft geöffnet werden würden und unsere tierischen Athleten ein wenig mehr verstanden und ihrem ureigensten Naturell, dem sozialen Miteinander, der Sicherheit in einem Herdenverband, überlassen würden, anstatt den menschlichen Ängsten vor Kratzern, Bisswunden oder sonstigen Verletzungen unnützen Raum zu geben, dann war diese Zeit nicht umsonst!
Zur Herdenhaltung gibt es keine Alternative
Wie ich in meinem Buch beschreibe, ist die Haltung von Pferden im Herdenverband alternativlos, wenn man das Naturell des Pferdes berücksichtigt. Das Pferd ist nun mal ein Herdentier und es wird sich nirgends wohler und sicherer fühlen als im Verband mit den Artgenossen.
Dass wir die Rangeleien untereinander, die Machtkämpfe, die im Endeffekt die Rangordnung in der Herde bestimmen, als gefährlich oder brutal empfinden – "Oh je, da könnte sich ein Pferd verletzen" – ist allein unser Problem. Dabei führen wir Menschen diese Machtkämpfe selbst tagtäglich, und ob eine verbale Verletzung nicht manchmal schlimmer sein kann als eine kleine Beule von einem Huftritt, das wage ich zu bezweifeln.
(c) Jördis Brunke
Ist die Rangordnung in einem festen Herdenverband erst einmal ausgefochten, tritt – zunächst – Ruhe ein. Natürlich wird die Rangordnung von Zeit zu Zeit immer wieder hinterfragt, ginge es doch in der wirklich freien Natur darum, dass der beziehungsweise die AnführerIn im Falle der Fälle tatsächlich für das Wohl der anderen sorgen kann. Doch diese erkämpfte Ordnung schafft im Endeffekt Sicherheit, Entspannung und Frieden für alle.
Und das merken dann auch die Pferdebesitzer sehr deutlich – oder hat schonmal jemand ein koppendes oder webendes Pferd auf der Koppel gesehen oder eines, dass permanent mit dem Vorderhuf gegen die Stromlitze tritt und sich damit die Beine kaputt macht…?
Was braucht ein Pferd eigentlich?
Das Pferd braucht seine Herde, genügend Raum, Gras, Heu, Wasser, im Winter einen dicken Pelz und ein paar Bäume oder einen Unterstand, um sich vor Sonne oder starken Wind zu schützen.
Ist der Raum zu eng, wird das freiheitsliebende Pferd um sein Areal kämpfen. Ist zu wenig Gras, Heu oder Wasser vorhanden, ebenso. Die grundlegenden Ressourcen müssen also für eine gesunde Herdenhaltung vorhanden sein.
Ausreichend Bewegungsanreize auf der Weide
Durch das geschickte Verteilen mobiler Heuraufen, kann man forcieren, dass die Wiese gleichmäßig abgetreten wird und zugleich verhindern, dass die Pferde um die Raufe herum in ihrem eigenen Mist stehen. Sind die Heuraufen dann auch noch recht weit von der Tränke entfernt, sorgt allein dies dafür, dass sich die Pferde – abgesehen vom Spielen miteinander – genügend bewegen.
Die Haltung von Pferden im Herdenverband ist alternativlos!
Ein Artikel von BLV-Autor Uwe Weinzierl. Hier finden Sie seinen neusten Titel Der Pferdeversteher.
Titelbild: (c) Jördis Brunke